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Veronika – Ein Jahr Berlin

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Veronika Sufuentes ist eigentlich Künstlerin, stammt aus Argentinien und hat bis vor einem Jahr noch keine Ahnung gehabt, dass sich direkt in ihrer Nachbarschaft eine der beschämendsten menschlichen Tragödien unserer Zeit abspielt.

Seit dem arbeitet sie unermüdlich, immer wieder bis zur völligen Erschöpfung, daran, die kleinsten und hilflosesten Menschen die in Berlin Zuflucht gesucht haben so wenig von ihrer dramatischen Lage merken zu lassen wie möglich. Meine Achtung, mein Respekt und meine Bewunderung gilt dieser Frau, sowie ihren Kolleginnen Natalia, Petra, Kristina und vielen anderen, die der Berufung zu helfen gefolgt und dies zum Beruf gemacht haben.

Dieser Beitrag stammt aus Veronikas Feder:

EIN JAHR IN BERLIN

Herbst 2015, eine Freundin ruft und sagt: „Ich gehe den Flüchtlingen helfen, du hilfst auch?“.
Ich wie immer, in meiner Schaumblase, kein Fernsehen, kein Radio, Keine Zeitung. Flüchtlinge?
Wo? Was? Wie? Die prägnante katholische Erziehung wirkt mit starkem schlechtem Gewisse, und nach dem gewöhnlichen Cappuccino in meinem Lieblingscafé gehe ich zum LAGeSo… 300 m. von mir zuhause entfernt. Da, „die Flüchtlinge“, aus Fleisch und Blut, „Live“. Aus Argentinien ruft die Familie und Fragt nach. Sie sind besser informiert als ich. Ich melde mich gleich bei dem Volunteer Planner. Erster Besuch beim Ehemaligen Rathaus Wilmersdorf, Kinderbetreuung. Ein Monat lang jeder Tag zum Olympiapark. Die erste Worte auf Kurdisch, Arabisch, Farsi (Vorher wüsste ich gar nicht dass es diese Sprache überhaupt gibt). Die Bilder der Kinder, mit Booten im Meer und Bomben auf die Häuser. Oktober, Messehalle 26. Die Realität fängt an sich zu invertieren. Die Halle, die Flüchtlingen, „Drinnen“, die Stadt, die Cafés, die Freunden, „Draußen“. Die eigene Wohnung und warmes Bett werden unbequem. Die Flüchtlingen sind nicht mehr die Flüchtlingen, sonder Mohammed, Ali, Ahmed, Fatima, Maryam.
Bis diesem Sonntag 16. Oktober 2016, Nachmittag, sind für vielen über 400 Tage und Nächte. 400 Tage des Wartens, des schlechten Essens, des mit Behörden zu Kämpen. 400 Nächte des Heimweh, des Trauerns, des keinen Schlafens. Jetzt essen wir persisch, hören wir arabische Musik, sagen wir Habibi und Hazizam. Jetzt ist die Junge Frau aus Irak meine Schwester, der freundliche Mann aus Iran mein Freund, die freche Mädchen aus Afhanistan meine Tochter. Jetzt sprechen sie alle Deutsch, und ihren Familien in der Ferne begrüßen uns. Jetzt sind sie unsere Familie, und ihren Familien sind unsere Familien. Wir feiern zusammen Geburtstags, und Grillen, und Festen. Jetzt lernen wir zusammen Fahrrad fahren, wir singen zusammen, wir lachen zusammen. Es ist uns unvorstellbar, dass vor einem Jahr, währen wir dramatisch für Kleinkram greinten, sie auf der Flucht waren, oder Nächten lang in der Kälte beim LAGeSo standen. Was haben sie alle verlassen? Wie war der Abschied? Wie der Weg zu Fuß, wie das Boot, wie das Ankommen? Unvorstellbar, dass wir als Kinder, nicht zusammen auf dem Hof gespielt haben, oder dass wir kein 15., 20., 30. Geburtstags zusammen gefeiert haben.
Ein Jahr in Berlin. Ein Jahr, dass unser Leben für immer verändert hat.
Unvorstellbar, wie jetzt uns jeden Tag bedroht. Dass meine Schwester, mein Freund, meine Tochter, abgeschoben werden können, und abgeschoben worden sind. Abgeschoben zurück zum Kriegs Gebiete, zurück zum mörderischer Diktatur, zurück zum Gefängnis, zum Tod.
Was wir im Leben schon verloren haben, wollte wohl Gott uns das wegnehmen. Und er weiß warum. Aber wer nimmt uns jetzt unsere Familie, unser Leben weg? Und was können wir dagegen tun?

Ein Kommentar

  1. Mit so vielen eigenen Geschichten und Episoden könnte ich diesen Bereich fortsetzen. Und ich bin nur eine von vielen anderen Helfern aus meiner Stadt Sankt Augustin, denen es genauso geht. Was wäre mein Leben arm ohne die vielen lieben Menschen, die ich kennen- und lieben lernen durfte. Die auch mich und meine Familie in ihre Herzen und ihr Leben gelassen haben, die an meinen Leben Anteil nehmen. Not und der Wunsch zu helfen waren der Anfang. Und das habe ich auch viel getan und mache es weiterhin gerne. Doch tiefe und wertvolle Freundschaften die daraus entstanden sind, machen mein Leben seitdem ich vor 14 Monaten zum ersten mal in die zur Notunterkunft umgebaute Schulturnhalle mit Kuchen znd Trauben aus meinem Garten aufgeschlagen bin, so reich, dass ich nichts davon missen möchte. Meine Neuen Nachbarn, Brüder, Schwestern, Freunde. Euch und Eure Kinder braucht unser Land, denn Ihr bringt so viel sprühendes Leben hinein und Farbe! Und dabei zu helfen, dass Ihr auch als Familien hier bei uns ankommen könnt, das habe ich mir auf die Fahnen geschrieben. https://m.facebook.com/savesyriasfamilies/

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